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9. Bioregionalismus in Deutschland? Nachdem wir nun einen ersten Einblick in die Weltsicht des Bioregionalismus bekommen haben, stellt sich nun folgende Fragen: Ist der Bioregionalismus eine sinnvolle und erfolgsversprechende Perspektive für die ökopolitischen Kräfte in unserem Land ist? Grundsätzlich wohnt dem amerikanischen Bioregionalismus ein zentrales strukturelles Defizit inne, dass seine Annahme in Deutschland höchst problematisch erscheinen lässt: Er ist eine durch und durch von den konkreten Bedingungen in Nordamerika geprägte Strömung. In seinem Bestreben, Alternativen zur naturzerstörenden kontinentalen Großraumökonomie zu finden, konnte er – sieht man mal von den Resten der indianischen Urbevölkerung einmal ab – im multiethnischen Schmelztiegel USA keine ethnokulturellen Anknüpfungspunkte zur Bestimmung von Regionen finden. Hinzu kommt, dass die Geschichte der USA als Staatswesen eben gerade einmal 200 Jahre zurück reicht. Daher können wir den Bioregionalismus auch nicht 1:1 in seiner amerikanischen Urfassung übernehmen, sondern müssen ihn auf die speziellen Verhältnisse und Bedürfnisse in Deutschland anpassen. Dabei stellt sich für uns die Frage, woran regionale Identitäten in unserem Land anknüpfen können. Die überwiegend dynastisch oder von traditionellen Verwaltungsgliederungen geprägten Vorstellungen der meisten regionalistischen Gruppen alter Prägung (wie z.B. die Bayernpartei) bieten dazu kaum Antworten. Gleiches gilt für noch weiter zurück liegende historische Bezüge wie das frühmittelalterliche Stammesherzogtum. Das heutige Bundesland Bayern z.B. umfasst so viele, zum Teil völlig willkürlich einverleibte Landschaften und Landsmannschaften, dass eine von Aschaffenburg bis Berchtesgaden reichende regionale Identität jeglicher gemeinsamer Voraussetzungen entbehrt. Gleiches gilt z.B. auch für Baden, das alemannisch wie fränkisch geprägte Teilkulturen und höchst unterschiedliche Landschaften umfasst. Von solchen Kunstgebilden wie das 1946 auf Betreiben der Alliierten geschaffene Nordrhein-Westfalen ganz zu schweigen. Hier können aber tatsächlich theoretische Ansätze des amerikanischen Bioregionalismus fruchtbar und nutzbringend sein. Regionales Bewusstsein, regionale Identität und letztlich auch die Neugestaltung regionaler Verwaltungsgrenzen innerhalb Deutschlands werden sich primär an den gegebenen Landschaften orientieren müssen, die wie keine andere Orientierungsgröße auch geeignet sind, ökologische und spirituelle Verwurzelungen zu ermöglichen. Hier – eingebettet in den Nationalstaat oder auch nationalstaatliche Grenzen überschreitend bzw. sprengend, wo es notwendig ist – kann das Konzept die Bioregion – jenes geographische Gebiet, das hinsichtlich von Boden, Wasser, Klima, Tier- und Pflanzenwelt gemeinsame Merkmale aufweist, seinen wirklichen Platz finden. Dies aber bedeutet, z.B. nicht mehr von feudalistischen oder gar verwaltungstechnisch geprägten Regionen wie Niedersachsen, Westfalen, Sachsen, Thüringen, Franken, Bayern usw. auszugehen, sondern von natürlichen, z.T. aber auch historisch eine Einheit bildenden Regionen: vom Emsland, der Lüneburger Heide, dem Harz, dem Sauerland, dem Hunsrück, dem Erzgebirge, dem Odenwald, dem Spessart, dem Schwarzwald usw. Auf diese Weise ließe sich das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland in etwa 50 bis 60 landschaftlich und in aller Regel auch landsmannschaftlich definierter Regionen einteilen, die gerade wegen ihres landschaftlichen Bezuges durchaus Bioregionen im Sinne des ursprünglichen bioregionalistischen Konzeptes wären. (Karte nach Jedicke, 1992) Dass ein solcher Ansatz nicht abstrakt ist und keineswegs im luftleeren Raum schwebt, zeigt sich an zwei Beispielen. In fast allen denkbaren deutschen Bioregionen bestehen heute Heimat-, Geschichts- und Brauchtumsvereine, die sich genau auf da Gebiet der jeweiligen Bioregion beziehen: vom 'Schwarzwaldverein' über den 'Sauerländer Heimatbund' bis zum 'Hunsrücker Geschichtsverein'. Dies ist ein Beleg dafür, dass in den jeweiligen Bioregionen, ungachtet aller früheren dynastischen Zugehörigkeiten und aller heutigen Verwaltungsgliederungen durchaus ein Bewusstsein der kulturllen Zusammengehörigkeit in der Biorgion existiert. Einen weiteren Beleg für die Realität der landschaftlich definierten Regionen in Deutschland bietet die Tourismusbranche, die in aller Regel nicht für Westfalen sondern für Sieger- und Sauerland wirbt; nicht für Hessen, sondern für den Taunus, die Rhön und den Odenwald. Dementsprechend existieren auch regionale Fremdenverkehrsgemeinschaften, bei denn die landschaftliche, landsmannschaftliche und kulturelle Einheit der jeweiligen Region durchaus erkannt, wenn auch unter kapitalistischen und zum Teil ökologisch schädlichen Gesichtspunkten vermarktet wird. ⇒⇒⇒ | |||||||||||
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